26.03.2024 | Texte & Aufrufe

Überlegungen zu den Thesen auf der Veranstaltung zur Linken in Israel und Palästina

Von: Revolutionäre Perspektive Berlin

Am 11. Januar 2024 haben wir im Kiezhaus im Wedding eine Veranstaltung mit Leon Wystrychowski gemacht, der seinen Text »Die palästinensische und israelische Linke – Ein historischer Überblick« vorgestellt hat. Der Text bietet einen sehr guten Einblick in die Geschichte der Linken in Israel und Palästina. Darüber hinaus hat Leon Wystrychowski in seinem Vortrag auch mehrere eigene politische Thesen vorgestellt. Im unmittelbaren Anschluss an den Vortrag wurden diese Thesen zum Teil kontrovers diskutiert. Und nach der Veranstaltung haben wir uns erneut mit ihnen auseinandergesetzt. Unsere Überlegungen zu den Thesen veröffentlichen wir gemeinsam mit der Audioaufnahme des Vortrags.

These 1:
»In Palästina steht die nationale Frage politisch absolut im Zentrum. Daher muss auch die Linke dort diese Frage vor allen anderen beantworten.«

These 2:
»Es hat sich gezeigt, dass die israelische Linke strukturell nicht in der Lage ist, diese Aufgabe (der nationalen Befreiung Palästinas) zu erfüllen. Die palästinensische Linke hat die nationale Frage in der Vergangenheit nicht politisch richtig beantwortet.«

These 3:
»Die nationale Befreiung und Entkolonialisierung Palästinas ist objektiv das historische Etappenziel aktuell in Palästina. Das revolutionäre Subjekt in Palästina ist das palästinensische Volk, weil sie dieses Interesse haben. Somit ist die Aufgabe der Linken in Palästina diesen Kampf zu führen. Eine kommunistische Hegemonie wäre wünschenswert, ist aber derzeit unrealistisch und sie ist objektiv auch nicht notwendig für die nationale Befreiung.«

Unsere Überlegungen zu den genannten Thesen

Das Leben der Palästinenser*innen in Gaza, im Westjordanland und Ostjerusalem ist seit 1967 von Besatzung, Unterdrückung und der damit einhergehenden alltäglichen Gewalt geprägt. In Israel sind die 1,7 Millionen Palästinenser*innen einem System der rassistischen Diskriminierung und Unterdrückung ausgesetzt. Ohne ein Ende der Besatzung und Unterdrückung kann es in der Region keinen Frieden geben. Daher sind der Kampf gegen die israelische Besatzung und der Krieg in Gaza aktuell für die Linke in Palästina und Israel zentral.

Innerhalb des Kampfes gegen die Besatzung stellt sich dabei die Frage, welche Rolle weitere gesellschaftliche Widersprüche wie der Klassenwiderspruch und die Geschlechterverhältnisse spielen. Obgleich die Berücksichtigung dieser Widersprüche für die Überwindung der Besatzung nicht zwingend notwendig ist, ist sie für eine sozialistische Perspektive zentral. Und der Kampf gegen die Besatzung kann und sollte mit dem Kampf gegen andere gesellschaftliche Widersprüche verknüpft werden. Hier ist das Beispiel Kurdistan hilfreich: Die PKK zeigt, dass es möglich ist, neben dem nationalen Befreiungskampf auch den demokratischen Prozess und die Frauenbefreiung voranzutreiben.

Eine Klassenperspektive innerhalb des palästinensischen Befreiungskampfes einzunehmen ist auch deshalb wichtig, um eine gemeinsame Perspektive mit den fortschrittlichen Teilen der Bevölkerung in Israel gegen die Besatzung herstellen zu können. Auch wenn die Kräfte der israelischen Linken aktuell marginal sind, denken wir, dass eine Bezugnahme auf sie wichtig ist: Weil sie Verbündete im Widerstand gegen die Besatzung sein können. Und weil der israelische Staat ein kapitalistischer Staat ist und Klassenkämpfe im Innern des Staates dabei helfen können, die Besatzung auch von innen heraus zu schwächen. Auch ermöglicht uns ein Schulterschluss mit der israelischen Linken, weg von dem Charakter »Volk gegen Volk« oder »Religion gegen Religion« zu kommen.

Darüber hinaus halten wir es für wichtig, nicht in eine rein militärische Logik abzugleiten, deren rein militärische Lösungen immer Gefahr laufen, in Vernichtungsszenarien zu enden. Verschiedene Formen des Kampfes sind notwendig im Widerstand und neben militärischem Widerstand kommt zivilen Protesten ebenfalls eine wichtige Rolle zu.

Unsere Perspektive ist keine Vertreibung der einen oder anderen Bevölkerungsgruppe, weder die Unterdrückung durch eine rassistisch-zionistische israelische Regierung noch durch eine reaktionäre islamistische Hamas, sondern die sozialistische Revolution und eine säkulare, sozialistische Ein-Staaten-Lösung, in der alle Menschen auf diesem Gebiet mit gleichen Rechten und gleichen Mitteln leben können.

Für revolutionäre Organisationen hat ein taktisches Bündnis unterschiedlicher Widerstandsgruppen eine Legitimität in antikolonialen Befreiungskämpfen in einer Situation der militärischen Unterlegenheit gegen einen übermächtigen Gegner. Diese klassenübergreifenden Bündnisse basieren auf der Überlegung, dass die nationale Unterdrückung der Hauptwiderspruch ist, der gelöst werden muss, um alle anderen Widersprüche überhaupt angehen zu können. Die revolutionären Organisationen dürfen sich jedoch nicht in einem klassenübergreifenden Bündnis verlieren, sondern sollten es nur als taktisches Bündnis ansehen. Ein taktischer Bündnispartner bleibt langfristig ein Gegner.

Demgegenüber hat sich ein strategisches Bündnis mit bürgerlichen oder religiösen Kräften in der Geschichte als fatal erwiesen und den revolutionären Kräften zum Teil extrem geschadet. Dies hat sich zum Beispiel bei der Islamischen Revolution im Iran 1979 gezeigt. Die kommunistische Tudeh-Partei hatte Ayatollah Khomeini, in Bezug auf die Verkündung einer islamischen Republik unterstützt. 1982 richtete sich die brutale Repression des islamistischen Regimes dann auch gegen die Tudeh-Partei, Mitglieder und Unterstützer*innen wurden inhaftiert, hingerichtet und die Partei 1983 verboten.

Darum bleibt es auch während taktischer Bündnisse unterschiedlicher Widerstandsgruppen mit dem gemeinsamen Ziel der antikolonialen Befreiung wichtig und notwendig, nicht nur den Kampf für die nationale Befreiung anzugehen, sondern die revolutionäre Perspektive beizubehalten und fortwährend auch eigene Forderungen in die Bündnisse einzubringen und eine klassenorientierte und antipatriarchale Praxis durchzuführen.

Tags: Geschichte, Internationalismus, Israel und Palästina

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