Interview mit der Revolutionären Perspektive Berlin zum 1. Mai 2009
Der 1. Mai in Berlin hat dieses Jahr in Medien und Politik für einigen Wirbel gesorgt. Abgesehen von den militanten Aktionen am Abend, über die wir auch noch sprechen werden, gab es dieses Jahr wieder eine ganze Reihe von Demonstrationen in Berlin. Woran habt ihr euch beteiligt?
Wir als Revolutionäre Perspektive Berlin haben den klassenkämpferischen Block auf der Gewerkschaftsdemonstration des DGB um 10 Uhr mitorganisiert und uns später organisatorisch an der revolutionären 1.-Mai-Demonstration um 18 Uhr eingebracht. Leider haben uns die Kapazitäten gefehlt, sonst hätten wir uns noch am antifaschistischen Widerstand gegen das NPD-Fest in Köpenick beteiligt.
Wie lief es beim klassenkämpferischen Block am morgen beim DGB?
Mit zirka 400 Leuten im Block sind wir erstmal sehr zufrieden. Man muss bedenken, dass auf der gesamten DGB-Demonstration nur knapp 4000 Leute waren. Auch dass wir es geschafft haben, den Lautsprecherwagen gegen den Willen der DGB-Demoleitung durchzusetzen, war sehr gut. Es gab eine große Solidarität, als unser Lautsprecherwagen in den Block einscherte und die DGB-Ordner dies mit Hilfe der Polizei verhindern wollten. Es kamen viele Leute zum Block, um den Lautsprecherwagen zu schützen und den Ordnern ihr Unverständnis über die Behinderung deutlich zu machen. Die Stimmung im Block war kämpferisch, es wurden viele Parolen gerufen und das Ende des Schmusekurses der Gewerkschaftspitze mit dem Kapital gefordert. Der Block hatte auch im vorderen Teil einen gemeinsamen inhaltlichen und ästhetischen Ausdruck mit roten Fahnen, Transparenten und Schildern statt einer Präsentation der einzelnen Gruppen.
Wieso sollte man eurer Meinung nach auf die DGB Demonstration gehen?
Für uns ist es zentral, dass wir uns als radikale Linke nicht abschotten, sondern die Trennung zwischen uns und der Arbeiterbewegung aufheben. Gerade in Zeiten der ökonomischen Krise, in der die gesellschaftlichen Verhältnisse ins Wanken geraten können und die Widersprüche sich zuspitzen, ist es wichtig, die soziale Frage aufzugreifen. Deshalb haben wir zusammen mit Leuten aus der Berliner Gewerkschaftlinken und anderen politischen Gruppen einen klassenkämpferischen Block organisiert, um eine Perspektive jenseits des Krisenmanagements des DGB, der SPD und der Linkspartei darzustellen.
Was ist die Perspektive jenseits von Krisenmanagement?
Das heißt, sich gegen die derzeitige sozialpartnerschaftliche und standortnationalistische Politik der Gewerkschaftsspitzen zu stellen, die immer wieder jede Kampfbereitschaft der ArbeiterInnen kanalisieren und damit lahmlegt. Deshalb müssen wir für eine klassenkämpferische und internationalistische Stoßrichtung eintreten. Dazu gehört auch, für die Perspektive einer sozialistischen Gesellschaft als Alternative zum Kapitalismus mit seiner Krisen- und Kriegslogik einzutreten.
Bei der Moderation wurden keine Gruppen-Redebeiträge gehalten, stattdessen gab es thematische Kurzbeiträge. Was hat euch zu diesem Konzept bewogen?
Es gibt die Erfahrung, dass lange Redebeiträge auf Demonstrationen, in denen sich die einzelnen Gruppen mit ihren jeweiligen Analysen selbst darstellen, oft recht langweilig sind. Es hört kaum jemand hin. Gerade auf der DGB-Demonstration wollten wir mit möglichst kurzen und knackigen Statements unsere Positionen vermitteln und die aktuellen Kämpfe thematisieren. Das ist uns ganz gut gelungen und der Block ist bei den anderen DemoteilnehmerInnen recht positiv und stimmungsvoll aufgenommen worden. Die Themen, die wir angesprochen haben, waren unter anderem der Fall Emmely, der politische Streik, das Co-Management der DGB-Gewerkschaften, Krieg und die ökonomischen Krise.
Ihr habt gemeinsamen mit der DKP Berlin den klassenkämpferischen Block organisiert. In der radikalen Linken wird die DKP oft kritisch gesehen. Was sagt ihr zu dieser Kritik?
Die DKP muss differenziert betrachtet werden. Eine pauschale Ablehnung, wie sie bei manchen autonomen und anarchistischen Gruppen vorhanden ist, die die DKP aufgrund ihrer Organisationsform als Partei kritisieren, finden wir genauso falsch wie die Haltung von kommunistischen Gruppen, die der DKP Opportunismus und Revisionismus vorwerfen und deshalb nicht mit ihr zusammenarbeiten wollen. Wir denken, dass es jeweils auf die konkrete Praxis und Zusammenarbeit vor Ort ankommt. Und zum 1. Mai in Berlin ist die gemeinsame Arbeit mit der DKP Berlin sehr gut verlaufen. Es gab inhaltlich und von der Herangehensweise, also zum Beispiel beim Konzept der Moderation und der Gestaltung des Blockes, große Übereinstimmung. Das mag in anderen Städten sicherlich anders aussehen, denn die DKP ist keine homogene Struktur mehr, sondern besteht aus sich in vielen Fragen stark unterscheidenden Flügeln, wobei der Landesverband in Berlin von einem linken Flügel dominiert wird.
Es haben sich auch ein paar unerwünschte Personen im klassenkämpferischen Block eingereiht …
Ja, leider haben wir die sechs Querfront-Spinner nicht als solche erkannt und erst im Nachhinein herausgefunden, um was es sich bei der Gruppierung »Sozialrevolutionäre Alternative Mitte« handelt. Dennoch sollte man diesen Leuten keine zu große Beachtung schenken, selbstverständlich aber dafür sorgen, dass diese Leute nicht auf unseren Demos mitlaufen können. Das gleiche gilt übrigens auch für die 18-Uhr-Demonstration, an der sie sich auch beteiligt haben.
Soweit zur DGB-Demonstration. Gleichzeitig fand ja in Köpenick das so genannte Maifest der NPD statt.
Die antifaschistischen Proteste und besonders die Blockade der S-Bahn-Station waren wichtig. Wir haben auf der DGB-Demo auch mehrfach auf den antifaschistischen Widerstand in Köpenick hingewiesen und dazu aufgerufen, sich im Anschluss an die Demo daran zu beteiligen.
Wie war es bei der revolutionären 1.-Mai-Demonstration am Abend?
Die Demonstration um 18 Uhr mit zirka 13 000 TeilnehmerInnen hatte von Beginn an einen sehr kämpferischen Ausdruck. Schon bei der Auftaktkundgebung haben insbesondere die Kommunistin und Antifaschistin Erika Baum sowie der Rapper Sinan zu entschlossenem Widerstand aufgerufen. Sie haben vielen aus dem Herzen gesprochen. Der vordere Block war in festen, geschlossenen Reihen formiert. Es waren auch viele Kreuzberger dort, viele Touristen, viele Jugendliche, die sonst nicht auf linken Demos anzutreffen sind.
Bereits an der Mariannenstraße bei der Tankstelle wurden die dort stehenden Polizisten beworfen und verjagt. Auch im weiteren Verlauf nachdem die Demo durch das Myfest gegangen war, wurde sich gegen Polizeiangriffe und gegen die Präsenz der Polizei an der Demo offensiv mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern zur Wehr gesetzt. Negativ ist hierbei zu bemerken, dass immer wieder DemonstrationsteilnehmerInnen von Leuten, die unüberlegt geworfen haben, getroffen und verletzt worden sind.
In den meisten Medien wird die 18-Uhr-Demostration als unpolitisch bezeichnet und die Militanz als Werk von Chaoten hingestellt.
Dem muss ganz klar widersprochen werden. Die Demonstration hatte eine deutliche politische Ausrichtung. Ihr Motto war dieses Jahr: »Kapitalismus ist Krieg und Krise – Für die soziale Revolution«. Mit Transparenten, Flugblättern und in Redebeiträgen wurden antikapitalistische Positionen aufgezeigt. Dass davon nichts in der bürgerlichen Presse erwähnt wird, hat Methode und ist nicht verwunderlich.
Zur so genannten Gewaltfrage ist zu sagen: sich gegen Polizeiangriffe mit Steinen und Feuerwerk zur Wehr zu setzen, ist eine Militanz, die ganz klar politisch ist, da sie aufzeigt, dass wir uns nicht dem staatlichen Gewaltmonopol beugen und unser Widerstand sich nicht in den Grenzen der herrschenden Gesetze lahmlegen lässt. Auch wenn Steine gegen Banken und Konzerne geworfen werden, ist das eindeutig politisch, da so symbolisch aufgezeigt wird, dass das Kapital angreifbar ist. Eine Spaltung in gute, friedliche und böse, gewalttätige Demonstranten schadet immer der revolutionären Bewegung und nutzt nur den Herrschenden. Dass sich die Wut vieler auf die bestehenden Verhältnisse in militanten Aktionen gegen die Polizei richtet ist verständlich, auch wenn es dabei sicherlich auch falsche Aktionen und unreflektiertes Handeln gegeben hat.
Die Demonstration konnte aber aufgrund der Auseinandersetzungen nicht ihre ursprünglich geplante Route laufen.
Ja, die Route wurde über die Lausitzer- und Wienerstraße zurück zum Kottbusser Tor massiv verkürzt. Die Entscheidung der Demoleitung war zu diesem Zeitpunkt richtig, denn auf der Strecke nach Neukölln wäre es womöglich zu weiteren Angriffen der Polizei auf die Demonstration gekommen und es hätte noch mehr Verletzte gegeben. Es ist zwar schade, dass wir so nicht mehr in Neukölln demonstrieren konnten, so konnte die Demonstration aber immerhin, mehr oder weniger geschlossen, zum Kottbusser Tor zurückgeführt werden. Es war dieses Jahr auf jeden Fall gut, vier Lautsprecherwagen zu haben, um über die ganze Demonstration verteilt Durchsagen machen zu können. Dennoch ist es bei einer solchen Masse an Leuten oft schwierig, den Überblick zu behalten und auf den Verlauf Einfluss zu nehmen.
Es waren ja auch viele Betrunkene an den Auseinandersetzungen beteiligt.
Das stimmt, allerdings vor allem am späteren Abend, im Anschluss an die Demonstration. Auch der Großteil der vielen Festnahmen fand erst nach der Demonstration statt. Es ist wichtig, immer wieder zu betonen, dass Drogen und Alkohol bei Demonstrationen nichts zu suchen haben. Ganz verhindern lässt es sich gerade am 1. Mai und wegen der momentanen Schwäche der organisierten Kräfte wohl leider nicht. Die Auseinandersetzungen mit der Polizei am Kottbusser Tor und in der Adalbert- und Oranienstraße, die bis in die Nacht hinein andauerten, wurden zu großem Teil dann nicht mehr, wie auf der Demonstrationen, von linken Aktivisten getragen, sondern mehr von Betrunkenen und Myfest-BesucherInnen. Diese Auseinandersetzungen zeigen aber auch eindeutig, dass auch Leute, die nicht auf eine Demonstrationen gehen, große Wut haben, die sich immer wieder am 1. Mai gegen die Polizei entlädt.
Wieso habt ihr euch bei der DGB-Demonstration und der revolutionären 1.-Mai-Demonstration beteiligt und nicht am Euromayday oder an der traditionellen 13-Uhr-Demonstration?
Wir streben am ersten Mai eine große klassenkämpferische Demonstration an, damit der 1. Mai wieder zu seinem Ursprung zurückkehrt, als Kampftag der ArbeiterInnenklasse. Dies ist aber recht schwierig, da die radikale Linke momentan isoliert von der organisierten Arbeiterbewegung ist und deswegen am 1. Mai eine Spaltung zwischen Gewerkschaftdemonstration und revolutionärer 1.-Mai-Demonstration besteht.
Bei der Gewerkschaftsdemonstration versammeln sich die gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen, von denen der größte Teil im Moment politisch eher sozialdemokratisch eingestellt ist. Die radikale Linke trifft sich am 1. Mai um 18 Uhr, um ihre Unversöhnlichkeit mit dem kapitalistischen System zum Ausdruck zu bringen. Diese Demonstration steht für die Unkontrollierbarkeit und potenziell nicht integrierbaren politischen und sozialen Kämpfe. Das macht sie objektiv zu einem Problem des bürgerlichen Staates. Und obwohl die OrganisatorInnen aus verschiedenen Gruppen kommen, auf verschiedenen politischen Feldern kämpfen und außerhalb des 1. Mai keine kraftvolle praktische Einheit herstellen können, zeigt sich am 1. Mai, dass ihre grundsätzliche Gegnerschaft zum kapitalistischen System zusammenkommt mit der massenhaften Ablehnung der sozialen Realität in diesem System. Sie bricht sich unkontrolliert Bahn, politisch oder unpolitisch, kollektiv oder individuell.
Zwischen diesen beiden Demonstrationen gibt es aber doch aktuell kaum Überschneidungen?
Ja, wir denken aber, dass es wichtig ist, die Trennung von gewerkschaftlich Organisierten, von Leuten aus Betrieben und der politischen Bewegung der radikalen Linken zu überwinden. Praktisch heißt das für uns, auf der revolutionären 18-Uhr-Demonstration, ebenso wie auf der DGB-Demonstration den politischen und ökonomischen Klassenkampf zu thematisieren.
Die traditionelle Manifestation um 13 Uhr und der Euromayday sollten Teile der oben benannten Demonstrationen sein. Als eigenständige Demonstrationen sind sie im Grunde überflüssig. Der Mayday wäre sinnvoller auf der DGB-Demo präsent, da auch die Prekären Teil der Lohnabhängigen sind, und es gerade wichtig wäre, Druck auf den DGB auszuüben, damit die Gewerkschaften stärker prekär Beschäftigte organisieren und in ihren Kämpfen unterstützen. Und die 13-Uhr-Demonstration könnte einen Teil der 18-Uhr-Demonstration bilden, da sie ebenfalls den antagonistischen Kampf gegen den Kapitalismus beinhaltet. Dies wird von beiden momentan aber wohl nicht so gesehen.
Wie sieht euer Fazit zum 1. Mai 2009 aus?
Insgesamt sehen wir den diesjährigen 1. Mai schon als Erfolg. Es waren bei den verschiedenen linken Demonstrationen über 25 000 Menschen in Berlin auf der Straße.
Die revolutionäre 1.-Mai-Demonstration hatte einen sehr offensiven und kämpferischen Charakter. Auch im Vorfeld haben sich mehr Gruppen an der Vorbereitung der Demonstration beteiligt, so dass mehr Lautsprecherwagen und inhaltliche Schwerpunkte auf der Demonstration vorhanden waren als die Jahre davor. So gab es neben dem Lautsprecherwagen des klassenkämpferischen Blocks noch einen Wagen von verschiedenen Jugendantifas, einen Lauti vom Free-Mumia-Bündnis und den traditionellen Truck der Antifaschistischen Linken Berlin. Es sieht also nicht so schlecht aus, dass die nächste revolutionäre 1.-Mai-Demonstration wieder ein Projekt der gesamten radikalen Linken in Berlin werden kann.
Nicht vergessen werden sollten die Leute, die seit dem 1. Mai im Knast sind. Wir finden es wichtig uns mit ihnen solidarisch zu zeigen, in Form von politischen Kundgebungen oder indem Briefe an die Gefangenen geschrieben werden.
Den klassenkämpferischen Block auf der DGB-Demonstration wollen wir im nächsten Jahr auf jeden Fall wieder gemeinsam mit Gewerkschaftslinken aufstellen und hoffen, dass sich dann noch mehr linke antikapitalistische Gruppen und Initiativen an der Vorbereitung beteiligen. Das Bündnis will auch nach dem 1. Mai weitere gemeinsame Aktivitäten entwickeln. So gab es am 16. Mai auf der großen EGB-Demonstration einen klassenkämpferischen Block; außerdem überlegen wir, eine Veranstaltungsreihe zu Arbeitskämpfen zu machen und diskutieren, wie wir bei den nächsten Arbeitskämpfen in Berlin intervenieren können. Denn es ist, wie bereits gesagt, dringend notwendig, die Trennung zwischen den Kämpfen an der ökonomischen Basis und den Kämpfen der Linken auf den verschiedenen politischen und sozialen Feldern aufzuheben.