
Input zum Begriff Überausbeutung und einem materialistischen Verständnis von Rassismus
Der Wahlkampf war geprägt durch eine massive rassistische Hetze gegen Geflüchtete und Migrant*innen. Seit Jahren findet ein Rechtsruck in Deutschland statt. Nicht nur die AfD, sondern alle bürgerlichen Parteien haben den Kampf gegen Geflüchtete und Migrant*innen als zentrales Thema gesetzt. Diese Politik der Abschottung und massenhaften Abschiebung scheint teilweise ein Hindernis zu sein zum Bedürfnis des deutschen Kapitals nach billigen Arbeitskräften. Für das Kapital stand die Förderung von bestimmter Zuwanderung, die im ökonomischen Interesse von Unternehmen liegt, aber noch nie im Widerspruch zur gleichzeitigen Propagierung von Rassismus und Chauvinismus.
Anlässlich des antirassistischen Kampftages zum 5. Jahrestag des Attentats in Hanau, wollen wir nach der Verbindung fragen, zwischen dem offen rassistischen Klima in Deutschland und der für viele unsichtbaren Überausbeutung der migrantischen Kolleg*innen. Typische Beispiele dafür sind die deutsche Fleisch- Transport- und Baubranche sowie die Pflegearbeit.
Bei der heutigen Veranstaltung geht es um die prekären Arbeitsverhältnisse von Migrant*innen in der Fleischindustrie und im Versandhandel. Für diese Form der extremen Ausbeutung der Arbeitskraft kann der Begriff der Überausbeutung verwendet werden. Bafta Sarbo und Eleonora Mendivil sprechen in ihrem Buch »Die Diversität der Ausbeutung« von Überausbeutung, wenn das gesellschaftlich durchschnittliche Ausbeutungsniveau, welches die Lohnhöhe und Arbeitszeit festlegt, unterlaufen wird. Überausbeutung findet sich vor allem in Arbeitsverhältnissen, die sehr stark durch migrantische Arbeit geprägt sind. Das hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen, beispielsweise mit dem häufig unsicheren Aufenthaltsstatus von Migrant*innen.
Überausbeutung stellt also eine intensivierte Ausbeutung der Arbeitskraft dar. Dies geschieht indem der Mindestlohn unterlaufen wird und die Arbeitszeiten über den gesellschaftlichen Normalarbeitstag von acht Stunden hinaus verlängert werden. Durch die unterschiedlichen Ausbeutungsbedingungen wird die Arbeiter*innenklasse gespalten. Zur ideologischen Legitimation dieser ungleichen ökonomischen Verhältnisse wird Rassismus genutzt.
Es gibt etliche, verschiedene Theorien dazu, was genau Rassismus ist und wie er funktioniert. Bei einer historisch-materialistischen Analyse wird davon ausgegangen, dass der Rassismus ein Produkt der gesellschaftlichen Verhältnisse ist. So werden beispielsweise materielle, ökonomische Interessen als treibende Kraft für die rassistische Kolonisierung und Versklavung bestimmt. Rassismus wird also nicht als eine statische Form der Unterdrückung verstanden, die unabhängig von historischen Bedingungen gegeben ist, sondern als etwas Prozesshaftes, das insbesondere mit den Produktionsverhältnissen zu tun hat. Entsprechend des historischen Wandels des gesellschaftlichen Lebens können dann auch Veränderungen rassistischer Ideologien erklärt werden, wie beispielsweise von einem biologischen hinzu einem eher als kulturell bezeichneten Rassismus.
Rassismus kann aber nicht nur aus den Bedürfnissen des Kapitals erklärt werden. Rassismus entwickelt ein Eigenleben, tritt also als ein verselbstständigtes Phänomen auf, das sich von Produktions- und Unternehmensinteressen entfernen kann. So können dann unter anderem Formen der rassistischen Gewalt erklärt werden, die selbst für kapitalistische Verwertungsinteressen nicht mehr funktional sind oder einem Großteil der Kapitalfraktionen zuwiderlaufen. Gewalt und Unterdrückung, mit denen People of Color, Migrant*innen und Geflüchtete tagtäglich konfrontiert sind. Ob auf der Straße, in den Ämtern oder am Arbeitsplatz. Ob Rostock, NSU oder Hanau. Rassismus tötet.
Die rassistische Hetze treibt einen Keil zwischen uns Arbeiter*innen. Das dient letztlich der kapitalistischen Herrschaft: Der Lebensstandard der Masse der Lohnabhängigen ist gesunken, während der Reichtum der Kapitalist*innen immer weiter gewachsen ist. Die Reallöhne fallen seit Jahren, die Kosten für Heizung, Mieten und Lebensmittel sind gestiegen. Die staatlichen Ausgaben für Soziales, Bildung und Gesundheit wurden massiv gekürzt, während es gleichzeitig Steuerentlastungen für Reiche gibt. Statt die Ursachen dieser Verarmung und Ungleichheit zu bekämpfen, wird Rassismus genutzt, um von der Klassenfrage abzulenken. Das macht sich ganz besonders in Krisenzeiten bemerkbar.
Umso wichtiger ist es diese extrem prekären Arbeits- und Lebensbedingungen zu thematisieren und solidarische Zusammenschlüsse und Organisierungen gegen Unterdrückung und Ausbeutung voranzubringen. Wir müssen uns der Spaltung entgegenstellen und die Verbindung von antirassistischen Kämpfen und Klassenkämpfen stärken.