Gegen Nationalismus und Kriegshetze
Hegemonie reaktionärer Kräfte
Am 21. Februar 2014 musste der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch abtreten. Ob formal richtiges Amtsenthebungsverfahren oder nicht – ihm waren schlichtweg die Grundlagen seiner Macht, der Zugriff auf den Staatsapparat, abhanden gekommen. Weichen musste er einer Bewegung, die als »Euro-Maidan« von sich reden gemacht hatte, und die – rein äußerlich – zunächst jenen Platzbesetzungsbewegungen ähnelte, die seit einigen Jahren in den kapitalistischen Metropolen immer wieder aufflammt: Von der Madrider Puerta del Sol über den New Yorker Zucotti-Park bis hin zum Istanbuler Taksim.
Der Kiewer Maidan hatte jedoch von Anfang eine ganz andere politische Ausrichtung als jene Sozialproteste. Versuchten anfänglich noch linke und alternative zivilgesellschaftliche Strukturen sich an dem Aufstand gegen Janukowitsch zu beteiligen, wurde schnell klar: Die Dominanz auf dem Platz liegt bei der äußersten Rechten und den neoliberal-chauvinistischen Kräften, also jenen Fraktionen, die für ein Ausscheren aus dem Einflussbereich Russlands und eine »Annäherung« an den Westen, sei es in Form des sogenannten »Assoziierungsabkommens« mit der Europäischen Union, sei es in Form einer Nato-Mitgliedschaft eintreten. Im November 2013 hatte die damalige ukrainische Regierung die Verhandlungen über ein Assoziationsabkommen mit der EU ausgesetzt, was den Auslöser der Maidan-Proteste bildete.
Sicherlich, für die Zehntausenden Menschen, die an manchen Tagen zum Maidan kamen, gab es reale Gründe, gegen Janukowitsch und seine Partei der Regionen aufzubegehren. Niedrige Löhne, Korruption, Polizei- und Justizwillkür, der autoritäre Stil des Präsidenten und die allgegenwärtige Macht der Oligarchen. Diese Gründe fanden aber von Anfang an keinen sozialen oder gar klassenkämpferischen Ausdruck. Die soziale Frage wurde ethnisiert und in ein nationalistisches Paradigma integriert, es ging nicht um eine bessere Gesellschaft, sondern um eine »starke Nation«, die von »inneren und äußeren Feinden« zu reinigen sei.
Der übersteigerte ukrainische Nationalismus aller prowestlichen Fraktionen, von Vitali Klitschkos Ukrainischer demokratischer Allianz für Reformen (UDAR) über Julia Timoschenkos Vaterlandspartei bis zu den Faschisten von Swoboda und Rechter Sektor bildete den Zusammenhalt der DemonstrantInnen. Über Jahre hinweg von westlichen NGOs und Stiftungen geschürt, mischten sich in diesen Nationalismus dubiose Hoffnungen auf angebliche Segnungen einer Anbindung an den Westen – jenseits aller Fakten, sieht man sich den wirtschaftlichen Niedergang der EU-Peripherie an.
Die deutschen Mainstream-Medien zeichnen sich in ihrer Berichterstattung durch eine Verharmlosung der Rolle der Ultranationalisten, die einseitige Parteinahme für die pro-westliche Kiewer Regierung sowie Verzerrungen, Doppelmoral und Unterstellungen aus. Medien wie ARD und ZDF fungieren als Regierungssender und HofberichterstatterInnen und liefern die entsprechende Propaganda im Sinne der KriegstreiberInnen.
Erstarken faschistischer und nationalistischer Strömungen
Im vorherrschenden ideologischen Klima in der Ukraine wundert das Erstarken der faschistischen Rechten kaum. Diese besteht aus zwei bedeutenden und einer Reihe kleinerer Organisationen. Die rechtsradikale Partei Swoboda war bereits vor dem Maidan eine relevante Kraft vor allem im Westen der Ukraine. Sie hat bei den Wahlen 2012 landesweit 10 Prozent der Stimmen erhalten. In einigen Regionen im Westen der Ukraine errang sie bis zu 38 Prozent der Stimmen. Ihr Programm präsentiert eine Mischung aus sozialer Demagogie und Rassismus, in den Verlautbarungen ihrer RepräsentantInnen zeigt sich vor allem extremer Hass auf Russland und bisweilen Antisemitismus. Sie fordert eine Westbindung der Ukraine, unter der Schirmherrschaft von Großbritannien und den USA soll die Ukraine wieder zur Atommacht hochgerüstet werden. In der aktuellen ukrainischen Regierung stellt Swoboda drei Minister und hat den Posten des Generalstaatsanwalts erhalten.
Der zweite große Zusammenschluss der Faschisten, der sogenannte »Rechte Sektor« ist aus der Fusion mehrerer paramilitärischer Gruppierungen unter Führung von Dimitrij Jarosch hervorgegangen. Programmatisch zusammengehalten von ukrainischem Nationalismus, dem Kult um die ukrainischen Faschisten um Stepan Bandera während des Zweiten Weltkriegs und einem an klerikale »Werte« angelehnten Weltbild versucht der »Rechte Sektor« sich als eine Art faschistische Graswurzelbewegung zu etablieren. War er vor dem Maidan noch eine marginale Gruppe, ist er nun nicht nur allgemein als legitimer Teil der Maidan-Bewegung anerkannt und gefeiert, sondern auch eine schwer bewaffnete Kraft, die sich auf der Straße behaupten kann und von der Kiewer Regierung gegen den »inneren Feind« eingesetzt wird. Der »Rechte Sektor« zeichnet sich durch eine neoliberale Wirtschaftspolitik aus und befürwortet Steuersenkungen, um Investoren anzulocken. Jarosch hat sich in einem Interview mit dem Spiegel auch für das Assoziierungsabkommen mit der EU ausgesprochen. Gleichzeitig wird von ihnen eine Unterordnung unter die »antichristliche Ausrichtung« der EU bekämpft und eine homophobe und sexistische Propaganda betrieben.
Sozialabbau, Patriotismus und Repression
Die aus dem Maidan hervorgegangene Übergangsregierung von Oleksandr Tutchynow und Arseni Jazenjuk ist im Wesentlichen eine Koalition von neoliberal-chauvinistischer »Vaterlandspartei«, TechnokratInnen mit Anbindung an verschiedene Oligarchen und offenen Faschisten. Sie wurde nie gewählt, allen Umfragen zufolge hätte sie auch keine Mehrheit. Legitimiert ist sie durch nichts als die Unterstützung des Westens und Machtpositionen im Staatsapparat sowie in den außerstaatlichen bewaffneten Gruppen der früheren Maidan-Selbstschutzhundertschaften. Zudem stützen sich die neuen Machthaber auf eben jene Oligarchen, die seit eh und je ökonomisch wie politisch die Geschicke der Ukraine bestimmen. Einige von ihnen, wie zum Beispiel Igor Kolomoyski unterhalten inzwischen »private« paramilitärische Formationen, andere – wie Petro Poroschenko – dominieren massenwirksame Medien im Land.
Obwohl bar jeglicher Legitimation hat die Regierung begonnen, unumkehrbare Entscheidungen im Namen der Ukraine zu treffen: Kredite aus Washington und Brüssel sowie vom Internationalen Währungsfonds wurden aufgenommen und mit der Umsetzung der damit verbundenen Sparmaßnahmen begonnen. Die Löhne sollen in den kommenden zwölf Monaten nicht steigen. Der durchschnittliche Bruttolohn in der Ukraine ist mit 295 Euro im Monat der Niedrigste in ganz Europa. Die soziale Spaltung wird sich mit der aktuellen Politik weiter verschärfen. Die Regierung hat zudem die Preise für Gas und Medikamente erhöht. Eine »Nationalgarde« wurde geschaffen, die die Integration und weitere Bewaffnung faschistischer Milizen vorantreibt. Und der Bürgerkrieg gegen den »inneren und äußeren Feind« im Osten und Süden der Ukraine wurde – notdürftig verschleiert als »Antiterroroperation“ – begonnen.
Der »innere Feind«, das ist aus Sicht der Kiewer Machthaber eine – zum Teil ebenfalls bewaffnete – Gegenbewegung der Bevölkerung des Ostens und Südens der Ukraine, die die derzeitige Regierung nicht akzeptiert und nach Unabhängigkeit strebt. Diese im Westen im Einklang mit der Kiewer Propaganda als bezahlte Provokateure Putins diffamierte Bewegung ist äußerst heterogen. Viele der AktivistInnen fürchten Übergriffe des »Rechten Sektors«, einige sind für eine Eingliederung in die russische Föderation, andere wollen eine eigene »Volksrepublik Donezk« oder »Volksrepublik Lugansk«. Innerhalb der Proteste im Südosten der Ukraine sind russisch-nationalistische und reaktionäre Slogans ebenso präsent wie linke Symboliken. Die weitere Entwicklung im Osten wird davon abhängen, inwieweit es den dort durchaus vorhandenen linken Kräften gelingt, ein politisches Projekt zu entwerfen und zu popularisieren.
Geopolitische Interessen
Die Ukraine ist seit langem zum Spielball geostrategischer und ökonomischer Interessen der imperialistischen Mächte geworden. Die westlichen Interessen spielten bereits vor zehn Jahren während der sogenannten orangenen Revolution eine Rolle, die zwischen November 2004 und Januar 2005 stattfand. Sie wurde vom Westen massiv unterstützt und medial als »Demokratiebewegung« gefeiert. Der pro-westliche Wiktor Juschtschenko kam im Zuge der orangenen Revolution Anfang 2005 an die Macht. Er setzte sich für einen Beitritt der Ukraine zur Nato ein. 2010 wurde er wieder abgewählt und erhielt lediglich 5,45 Prozent der Stimmen. Julia Timoschenko, die Symbolfigur der »Orangenen Revolution« wurde nach ihrer Verhaftung im August 2011 vom Westen zur Märtyrerin stilisiert. Sie ist eine Oligarchin, die ein milliardenschweres Vermögen in der Gasindustrie erworben hat.
Seit dem Ende der Sowjetunion betreibt »der Westen« eine Politik der Zurückdrängung des machtpolitischen Einflusses Russlands. Insbesondere eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine stellt eine rote Linie für Russland dar. Dazu kommt, dass die Wirtschaftspolitik der Europäischen Union gegen das russische Projekt einer russisch-belarussisch-kasachischen Zollunion gerichtet ist. Russland, als kapitalistischer Staat ebenso auf die Wahrung seiner machtpolitischen Interessen bedacht wie jeder westliche, will nach dem Putsch in Kiew seinen Einfluss durch die Eingliederung der Krim in die russische Föderation erhalten.
Der Widerspruch der imperialistischen Politik in Sachen Ukraine ist allerdings anhand der Linie Russland versus den Westen nur unzureichend beschrieben. Vielmehr gibt es auch im »Westen« durchaus widerstreitende Interessen, die schon daher rühren, dass Washington in ungleich geringerem Maße mit Russland ökonomisch verbunden ist, als die Führungsmacht der EU, Deutschland. Teilen Berlin und Washington zwar zum einen das Interesse der Schwächung Russlands und Anbindung der Ukraine gibt es strategisch unterschiedliche Projekte. Der deutsche Imperialismus setzte auf die ökonomische Unterwerfung der Ukraine nach dem Muster der europäischen Peripheriestaaten, der US-Imperialismus auf die mittels NGOs »unterstützten« prowestlichen Machteliten, die das Land von Russland weg und auf Perspektive in die Nato führen sollen. Dazu kommt, dass das deutsche Kapital an einer abrupten Verschlechterung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Moskau nicht wirklich Interesse haben kann. Für das US-amerikanische böte eine derartige Verwerfung allerdings neue Chancen der Schwächung Russlands und – auf längere Sicht – möglicherweise sogar einen neuen Absatzmarkt für den durch Fracking neugewonnenen Gas- und Ölreichtum der Vereinigten Staaten.
Solidarität mit den antifaschistischen und linken Kräften
Wie auch immer der Konflikt weitergeht – die deutsche Linke wurde von den Ereignissen überrascht und hat nicht schnell und angemessen reagiert. Eine breite Mobilisierung gegen die offene Allianz des deutschen Imperialismus mit den nationalchauvinistischen und faschistischen Kräften in der Ukraine gab es nicht, was auch dem Entstehen einer von dubiosen Neurechten dominierten »Friedensbewegung« Vorschub leistete. Diese Montagsdemos bieten homophoben, nationalistischen und rassistischen Rednern wie Jürgen Elsässer eine Plattform und sind ein Tummelplatz für VerschwörungstheoretikerInnen, Nazis und AntisemitInnen. Umso wichtiger ist es eine eigenständige linke und antimilitaristische Bewegung gegen die Kriegshetze aufzubauen und sich von den »Montagsdemos« klar abzugrenzen.
Innerhalb des linken Spektrums sind auch Stimmen zu finden, die wie der Deutsche Freidenker Verband, eine »Solidarität mit Russland« einfordern. Derartige Positionen haben jedoch nichts mit einer antikapitalistischen und antimilitaristischen Perspektive zu tun. Denn Russland ist genau so ein kapitalistischer Staat wie die USA oder die BRD und verfolgt eigene machtpolitische und wirtschaftliche Interessen. Es kann keinerlei positiven Bezug auf die russische Regierung geben, die für die Verfolgung von MigrantInnen, Repression gegen AntifaschistInnen und gegen Homosexuelle verantwortlich ist. Es geht nicht darum sich entweder auf die Seite der EU oder Russlands zu schlagen, denn beide vertreten nicht die Interessen der ukrainischen Bevölkerung. Unsere Solidarität gilt in erster Linie den von Faschisten verfolgten und von Diskriminierung betroffenen linken Kräften und AntifaschistInnen. Dazu gehören zum Beispiel die AktivistInnen der linken Organisation Borotba, deren Aktivist Andrew Brazhevsky am 2. Mai beim faschistischen Massaker in Odessa ermordet wurde. Wir rufen dazu auf gegen Kriegshetze, Nationalismus und Faschismus aktiv zu werden.
Hoch die internationale Solidarität! Gegen jede imperialistische Intervention!