Kein Vergeben, kein Vergessen!
Weder HeldInnen noch MärtyrerInnen
Conny in Göttingen, Silvio in Berlin, Carlo in Genua, Dax in Mailand, Thomas in Dortmund, Carlos in Madrid, Rick L. in Magdeburg, Jan in Tschechien, Feodor in St. Petersburg, Alexis in Athen ... Namen, die mit zahlreichen Erinnerungen und Gefühlen verbunden sind. Eine willkürliche Auswahl aus einer langen Liste. Doch eines haben sie alle gemeinsam: keine der genannten Personen in dieser Reihe ist Held oder Märtyrer. Stattdessen sind es militante, revolutionäre Aktivisten, die für ihr Engagement für eine befreite Gesellschaft sterben mussten – entweder durch die Hand der Faschisten oder die der staatlichen Armee für innere Auseinandersetzungen, der Polizei. Ihre Aktionen stachen nicht unbedingt hervor – sie bewegten sich durchaus in dem Rahmen, in dem sich die meisten Aktionen der außerparlamentarischen Linken bewegen.
Conny war da keine Ausnahme. Am 17. November 1989 waren sie und andere AntifaschistInnen auf die Anwesenheit von Neonazis in Göttingen aufmerksam geworden und hatten sich gesammelt, um den Faschisten entgegen zu treten. Dabei wurden sie von Zivilpolizisten beobachtet und verfolgt, die Verstärkung anforderten. Als diese eingetroffen war, gingen die Mörder mit dem Funkspruch »Sollen wir sie jetzt platt machen?« zum Angriff über. Die Antifas wurden direkt an der Weender Landstraße mit CS-Gas und Schlagstöcken attackiert – Conny wurde dabei in den Verkehr getrieben, von einem Auto erfasst und war sofort tot. Wer ihr helfen wollte wurde gewaltsam daran gehindert und mit Sprüchen wie »Ihr könnt euch gleich dazu legen« eingeschüchtert.
Jeder antifaschistisch engagierte Mensch hätte sich zu dieser Zeit an diesem Ort befinden können. In diesen Momenten sozialer Auseinandersetzungen zeigt der Staat den Kern unter der »modernen, friedlichen und demokratischen« Hülle – sei es geplant, durch Zufall oder konfrontiert mit wachsendem Widerstand. Wird der »gesellschaftliche Konsens« in Frage gestellt, verteidigt der Staat die Grundlage seiner Existenz. Zu diesen Grundlagen gehört die Unantastbarkeit der kapitalistischen Weltordnung sowie das Monopol zur Gewaltanwendung. Und beides ist er bereit, bis zum letzten zu verteidigen.
In weiten Teilen der Gesellschaft herrscht dagegen die Vorstellung, dass die Ausübung von Gewalt nicht unmittelbarer Bestandteil unserer modernen staatlichen Institutionen ist. Lässt sich die Realität von Gewalt nicht leugnen, werden vielfältige Rechtfertigungen angeführt. Es wird behauptet, bei Gewalttaten durch Polizisten handele es sich um aus der Rolle fallende schwarze Schafe. Faschistische Morde werden als extremistische Einzeltaten gewertet. Oder schlimmer: zugunsten der Polizei wird oft angenommen, sie hätten gute Gründe haben müssen. Die Taten von Faschisten werden entpolitisiert und als Konflikt zwischen gleichermaßen »extremistischen« Jugendgangs betrachtet. Diese Sichtweise mag für viele verlockend und naheliegend erscheinen, weil sie, und genau das ist ihr Fehler, das Wesen von Souveränität und Staatlichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft verschleiert.
Der Staat: gefährlich und gewalttätig
Im Allgemeinen müssen Staaten der sogenannten Ersten Welt ihre Existenz nicht täglich mit brutaler Gewalt und Einschüchterungen durchsetzen. Die Geschichte hat mehr als einmal bewiesen, dass dieses Modell ziemlich ineffektiv und kurzlebig ist. Die hochindustrialisierte »Konsumgesellschaft« hat den Rückgriff darauf, zumindest in den sogenannten »Industrieländern,« immer überflüssiger gemacht. An seine Stelle ist die effektivere und langfristig stabilere Herrschaft durch Hegemonie und Konsens getreten. Ein komplexes Gewebe aus Wahlen, Mitbestimmungsrechten, Aufstiegsmöglichkeiten, sozialstaatlichen Mechanismen, Propaganda und Alltagskultur erzeugt einen sozialen Konsens aus dem ein Ausbrechen nicht notwendig erscheint. Wer dazu gehört und die Regeln befolgt kann sich sicher fühlen – zumindest in denjenigen Regionen der Welt, in denen das Kapital es sich leisten kann und von einer Gesellschaft dazu gezwungen wird.
Auch wenn diese Erscheinungsform des Staates mit allen Mitteln der Kunst beschönt und beworben wird – sie bleibt eine Erscheinungsform, hinter welcher der Kern aus Gewalt und Macht bestehen bleibt. Nicht umsonst leistet sich der Staat einen extrem teuren und komplexen Sicherheits- und Überwachungsapparat. Genau dieser Apparat steht uns in jeder direkten Konfrontation gegenüber. Manchmal, weil die Legitimität und Autorität des Staates wirklich in Frage gestellt wird, wie es während des Aufstandes in Griechenland der Fall war. Manchmal aber auch nur, um ein Exempel zu statuieren, das die sozial und ökonomisch Marginalisierten zwingen soll, sich wieder lautlos in den Terror ihres Alltagslebens zu fügen – wie in den französischen Banlieues.
Oft genug sind es zuletzt Teile des staatlichen Repressionsapparates, die aufgehetzt »über das Ziel hinausschießen«. So war der Mord an Alexis in Griechenland das Ergebnis einer umfassenden Medien- und Polizeikampagne gegen die griechischen AnarchistInnen – nicht weil es der Wille des Staates oder der herrschenden Klasse gewesen wäre, sondern weil ein übereifriger Polizist (seine Kollegen nannten ihn »Rambo“) sich die Schreckensszenarien, die in der Öffentlichkeit ausgebreitet wurden, zu Herzen nahm. Genau diese »Sollübererfüllung« führte zu einem Aufruhr, der den griechischen Normalzustand in seinen Grundfesten erschütterte.
Der Mord an Conny ist wahrscheinlich ähnlich zu beurteilen. Weder der deutsche Staat noch die Göttinger Polizei hatten einen zwingenden Grund Conny zu töten und ganz sicher haben sie von dem folgenden Konflikt nicht profitiert. Aber in einem Gesellschaftssystem, in dem das Schlagen, Verfolgen, Überwachen, Einsperren und Terrorisieren von Personen, die radikale politische Ziele verfolgen zur Normalität gehört, ist es da verwunderlich, dass früher oder später Personen ernsthaft verletzt oder getötet werden?
Angriff ist die beste Verteidigung
Wir kämpfen für eine radikale Änderung der Gesellschaft. Nicht mehr oder weniger als die Abschaffung dieser sozio-ökonomischen Ordnung basierend auf Staat, Kapital und Patriarchat ist das Ziel. Wir kämpfen für die klassen- und staatenlose Gesellschaft auf der einfachen und doch skandalösen Basis von »Jeder und jede nach seinen und ihren Fähigkeiten, jedem und jeder nach seinen und ihren Bedürfnissen!«.
Es ist offensichtlich, dass Konflikte, Repression und Konsequenzen unvermeidbar sind, wenn Menschen versuchen, offensiv gegen die Staatsgewalt vorzugehen und mit seiner Wirklichkeit und seinen Regeln offen brechen. Um einen Gegner wie den Staat zu beseitigen, reichen Dialog und Verhandlung nicht aus.
Die Rollen als Opfer, Geschlagene, Getötete, Eingesperrte, Verfolgte, Isolierte und Marginalisierte, in die uns die Gesellschaft drängt, lehnen wir jedoch bewusst ab. Appelle an das Unrechtsbewußtsein der anständigen Bürger werden die Situation nicht ändern. Unsere Sicherheit als individuelle Militante und unsere Stärke als eine revolutionäre Kraft kann und wird nur unsere kollektive Macht als Bewegung sein.
Durch unsere Intervention in soziale Kämpfe und Klassenkämpfe erreichen wir neue Leute, radikalisieren die Kämpfe, knüpfen wertvolle Kontakte und entwickeln eine Solidaritätsgemeinschaft, an die wir uns in Zeiten von Repressionen wenden können. Die Erkämpfung, Verteidigung und der Aufbau von Freiräumen dient nicht nur dazu mehr Menschen zu erreichen, sondern ist Bedingung für gelebte antifaschistische Gegenkultur und schafft Rückzugsorte in schwierigen Zeiten. Unsere Aufgabe ist es eine revolutionäre Bewegung aufzubauen, zu vernetzen, zu schützen und eine politische Macht zu werden, um dem Staat zu zeigen, dass seine Handlungen nicht ohne Konsequenzen bleiben.
Der deutsche Staat behandelt die radikale Linke wie er will, schlicht und einfach, weil er es sich leisten kann. Er kann uns in Massen einsperren, Hausdurchsuchungen durchführen und wahnwitzige Schauprozesse veranstalten, ohne dass es ihm schadet oder dass es Konsequenzen hat. Er behandelt unsere Demonstrationen wie Gefangenentransporte, untersagt Identitätsschutz, auf Angriffsabwehr steht Gefängnis und sogar in dem, was wir sagen oder schreiben werden wir kontrolliert und gemaßregelt. Selbst wenn eine Demonstration auch nur versucht aus den abgesperrten Parcours auszubrechen, in welche die Polizei unsere Routen verwandelt, werden wir geschlagen, mit Pfefferspray attackiert und eingesperrt.
Unsere Aufgabe ist es, dieses Gewaltmonopol zu brechen um damit und dabei die viel größere strukturelle Gewalt in Frage zu stellen, die sich unter dem Deckmantel der parlamentarischen Demokratie verbirgt – damit meinen wir die Gewalt der Ausbeutung, die Morde durch sogenannte »Arbeitsunfälle«, die Qualen durch entfremdete und sinnlose Jobs, physische und psychische Folter mit der MigrantInnen, Gefangene und andere Marginalisierte konfrontiert werden, und vieles mehr. Der oberflächliche Frieden unserer Gesellschaft ist auf dem Leiden der scheinbar Überflüssigen gebaut und wird gestützt von der überwältigenden Unterdrückungsmaschinerie, die bereit steht, falls diese Überflüssigen doch einmal außer Kontrolle zu geraten wagen.
Für das Ende der Gewalt!
Klassengesellschaften kennen keinen Frieden. Sie sind per Definition in einem konstanten Kriegszustand. Zu unseren Waffen im Kampf gegen diesen permanenten Kriegszustand gehören Klassenbewusstsein, kollektive Organisation, Solidarität, Massenmilitanz und die unkontrollierbare Vielfalt unseres Widerstandes. Für uns ist die beste Würdigung der vom Staat Getöteten nicht Kerzen, Gedenken oder Märtyrertum, sondern unseren Beitrag zu leisten im alltäglichen Kampf gegen das System, das solche Tode nicht nur möglich, sondern unvermeidbar macht. Kämpft mit uns für eine Gesellschaft, in der die Herrschaft des Menschen über den Menschen abgeschafft ist. Kommt am 14.11.2009 nach Göttingen!
Unser Gedenken … weiter kämpfen.
Nie wieder Polizeiterror … nieder mit Staat und Kapital
Für die soziale Revolution und die staatenlose und klassenlose Gesellschaft