24.11.2011 | Texte & Aufrufe

Prozesserklärung von Inge Viett vor dem Berliner Amtsgericht

Von: Inge Viett

Der Staatsanwalt behauptet ja tatsächlich ich hätte mit meinem Vortrag auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz den öffentlichen Frieden gestört. Und zwar deshalb, weil ich Sabotage an Militär- und Kriegsgütern für legitim halte, wenn Deutschland Krieg führt. Dann zählt der Herr Staatsanwalt wahllos neun Brandanschläge gegen Kriegsgerät auf, auf die ich mich bewusst bezogen haben soll. Mich überrascht, wie der Staatsanwalt sich in meinem Bewusstsein oder gar Unterbewusstsein auszukennen glaubt. Aber tatsächlich projiziert er nur ins Blaue hinein, um mich anklagen zu können.

Wer stört eigentlich wirklich den öffentlichen Frieden hier im Land, in Europa und weltweit? Und welcher Frieden ist gemeint? Das Verstummen und sich Abfinden mit der Politik einer profitgetriebenen Klasse, die schon wieder, wie auch in der Vergangenheit, Raubkriege und eine Militärpolitik in vielen Teilen der Welt betreibt, um sich Ressourcen und Macht für eine maßlose Ökonomie der Verschwendung und Zerstörung zu sichern?

Das Abfinden mit einer Angriffsarmee, die sich immer noch Bundeswehr nennt, aber längst eine Kriegsarmee ist, die in heimtückischer Weise die gesellschaftlichen Institutionen okkupiert, um eine kriegsunwillige Bevölkerung zu manipulieren und fügsam zu machen?

Sollen wir ganz friedlich zusehen, wie sich die Vertreter des Militarismus vor allem an die Schwächsten heran machen, die noch kein reales Weltbild haben, an die Kinder, an die SchülerInnen, StudentInnen und an die Arbeitslosen und Perspektivlosen? Sollen wir hinnehmen, dass sie den Krieg als Abenteuer auf Spielplätzen inszenieren, dass sie das Mörderhandwerk der Soldaten als normalen Beruf verkaufen, und ihre Kriegspolitik als alternativlose »Sicherheitspolitik« in die Universitäten tragen? Dient das etwa dem Frieden?

Ich hab’ mal ins Strafgesetzbuch geschaut, was denn der hier in der Anklage aufgeführte Paragraph 306 für Straftaten erfasst, die zu billigen und belohnen ich mich strafbar gemacht haben soll. Ich zitiere den Paragraph 306:

»(1) Wer fremde

  1. Gebäude oder Hütten,
  2. Betriebsstätten oder technische Einrichtungen, namentlich Maschinen,
  3. Warenlager oder -vorräte,
  4. Kraftfahrzeuge, Schienen-, Luft- oder Wasserfahrzeuge,
  5. Wälder, Heiden oder Moore oder
  6. land-, ernährungs- oder forstwirtschaftliche Anlagen oder Erzeugnisse

in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.«

Mir scheinen das alles zivile Ziele zu sein. Die Rede ist nicht von Kriegsmaterial. Und um solches handelt es sich doch eindeutig bei den von der Staatsanwaltschaft aufgezählten Anschlägen.
Ich habe den Eindruck der Paragraph 306 trifft eher auf das zu, was die Bundeswehr in Afghanistan treibt, wenn sie, wie in Kundus, Tanklastwagen bombardiert und dabei über 100 Menschen umbringt, oder wenn sie Dörfer und Zivilfahrzeuge in Brand schießt, weil sie dort sogenannte Terroristen vermutet. Oder wenn sie Zivilisten zusammenschießt, die gegen ihre Besatzung demonstrieren, wie im Mai 2011 in Talokan. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Mehrheit, der hier sitzenden Medienvertreter, einschließlich die Staatsanwaltschaft, dies alles billigen.

Aber ich will mich mit der juristischen Seite der Anklage gar nicht wirklich befassen, weil sie im Grunde subaltern ist, denn die meisten bürgerlichen Gesetze sind lediglich die Instrumente mit denen der Staat versucht, gesellschaftliche Konflikte zu seinen Gunsten zu beeinflussen, durch Kriminalisierung seiner Kontrahenten, und durch die Verschleierung der politischen Dimension, die hinter der Anklage liegt.

Ist der Krieg gegen Afghanistan und die anderen weltweiten deutschen Militäreinsätze etwa kein gesellschaftlicher Konflikt, wenn mehr als zwei Drittel der Bevölkerung dagegen sind? Wenn gigantische Summen in den Krieg und die Kriegsrüstung fließen und die Bildung, das Gesundheitswesen, die Kultur, der Wohnungsbau, die Renten angeblich nicht mehr finanziert werden können? Wenn die Löhne immer geringer werden, Arbeitsplätze immer unsicherer und Viele ihr Leben auf Hartz IV Bettelniveau fristen müssen? Ist es kein gesellschaftliches Problem, wenn eine kleine besitzende Minderheit und ihre Trabantenpresse die Profitwirtschaft und die Kriegspolitik zur Ultima Ratio des Fortschritts erklärt, obwohl dieser sogenannte Fortschritt verheerende Folgen für die Mehrheit der Menschen und ihre Umwelt hat? Nur damit diese Minderheit reich und mächtig bleibt?

Das Gesetz ist also ein politisches Instrument dort wo es um einen politischen Sachverhalt wie in diesem Prozess geht. Hier geht es um die Meinungsfreiheit, um die Pressefreiheit, um das Recht auf öffentliche Debatten über Strategien zur Abschaffung des Kapitalismus, um das Recht auf öffentliche fundamentale Systemkritik, um das Recht gegen diese Zustände Widerstandsmöglichkeiten zu diskutieren und zu organisieren. Der Staatsanwalt vertritt hier auch nicht das Recht sondern den Staat, der mich als politische Aktivistin gegen das Kapitalistische System und seine immer wieder kehrenden Kriege mundtot machen will.

Aber es geht der Staatsgewalt mit ihrer Anklage noch um mehr: Die ansteigenden sozialen und politischen Verwerfungen des Kapitalismus, seine Krisenpolitik zu Lasten der lohnabhängigen Klasse, der Kinder, der RentnerInnen, der Alten und Schwachen, seine Kriegspolitik um Ressourcen und Einfluss, die Entwicklung immer mörderischer Waffensysteme, stoßen überall auf Proteste. Selbst in den reichen Europäischen Staaten bersten die Widersprüche und Widerstand in allen möglichen Formen beginnt sich zu organisieren. Die Propaganda, dass es keine Alternative zu diesem kaputten und aggressiven System gibt, verfängt bei immer weniger Menschen. Die Wut wächst und auch die Pläne, wie die Befreiung von diesem Moloch möglich werden kann. Die herrschende Elite reagiert mit Rhetorik und Propaganda, mit Unterdrückung und Repression. Immer schärfere Gesetze, immer mehr Überwachung, größere und härtere Polizeieinsätze, immer mehr Prozesse. Ja sie arbeitet schon wieder daran, die Verfassung zurechtzustutzen, um den Einsatz von Militär auch im Innern zu ermöglichen. Sie ist taub und tumb gegen die Ursachen von Protest und Widerstand.

Ich bin über vierzig Jahre im Widerstand gegen das kapitalistische System und ich habe mich früher dabei auch bewaffneter Mittel bedient, wie viele andere in der langen Geschichte revolutionärer Kämpfe gegen den Kapitalismus. Das macht mich zum beliebten Hassobjekt der reaktionären Boulevard Blätter und der antikommunistischen Medien. So ist auch dieses Verfahren gegen mich maßgeblich durch die Zuarbeit eines Lohnschreibers des Springerkonzerns zustande gekommen. Sie glauben, über mich sei es leicht, die Kriminalisierung und Denunzierung aller linken revolutionären Kräfte voranzutreiben, und die demokratischen Standards wie Meinungsfreiheit und Pressefreiheit ihrem politischen Belieben zu unterwerfen. Bzw. das Niveau dieser Standards juristisch nach unten zu drücken.

Schon 1968 auf dem Internationalen Vietnam Kongress, als die deutsche Propaganda für den grausamen Krieg der USA gegen Vietnam und gegen die Antikriegsbewegung auf ihrem Gipfel von Hass und Lüge war, erklärte Rudi Dutschke vor dem Hintergrund des eskalierenden Krieges gegen die vietnamesische Bevölkerung, dass militante Aktionen gegen die Lügenmaschinerie der Manipulationszentren und militante Aktionen zur Zerstörung der unmenschlichen Kriegsmaschinerie legitim seien.

Heute wissen alle, wie verbrecherisch auch jener Krieg war. Den bürgerlichen Medien mangelt es allerdings an kritischem historischem Gedächtnis und ihre Affinität zur Kriegspolitik ist die Affinität zur kapitalistischen Herrschaft. Sie bestimmt nun mal den Grundton der Medien Die Journalisten sind damals wie heute so unabhängig, wie Hunde an der Laufleine.

Debatten wie auf der Rosa Luxemburg Konferenz über mögliche Strategien zur Überwindung des Kapitalismus und um Wege zum Kommunismus werden seit Jahrhunderten auf der ganzen Welt geführt. Nur der brutale und strohdumme Antikommunismus in Deutschland wird darüber hysterisch. Das Demokratieverständnis der herrschenden Elite und ihrer medialen Publikatoren erweist sich immer wieder als armselig. Es ist nicht mehr als ein Synonym für Staatsräson.

Die Alternative zum Kapitalismus ist nun mal der Kommunismus. Das weiß doch jeder kapitalismuskritische Mensch. Wie verschieden auch immer die Vorstellungen vom Kommunismus sein mögen, es wird eine nachkapitalistische Welt geben, weil der Mensch, Mensch sein will, und sie wird gekennzeichnet sein durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Emanzipation der produzierenden Klasse. Das sind nun mal die Grundlagen des Kommunismus, auf die der vernünftige Teil der Welt hinarbeitet. Der derzeitige Zustand der Welt treibt diesen Prozess voran. Nicht abstrakt, nicht von alleine, sondern durch den konkreten politischen und teilweise auch militanten Kampf von vielen konkreten Menschen auf der Welt.

Repressive Gesetze, juristische Schikanen, mediale Hetze, selbst Folter, Gefängnis und Tod werden nicht den Frieden bringen, wie Sie ihn verstehen und den ich gestört haben soll. Chancen für Frieden wird es erst geben, wenn die Hightech Armeen der kapitalistischen Staaten verschrottet sind und die Konzerne in deren Windschatten nicht mehr die Welt ausplündern können, weil die Ausbeutung abgeschafft ist. Es wird nur Frieden geben, wenn der Reichtum der Welt allen Bedürftigen zugute kommt. Diesen Frieden müssen wir uns erkämpfen und wenn es noch hundert Jahre dauert.

Ich schließe meine Erklärung hier vor Gericht mit dem Aufruf des Revolutionärs Georg Büchner: Friede den Hütten! Krieg den Palästen!

Tags: Antimilitarismus, Bundeswehr, Repression

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